Für die Website meiner Praktikumsgemeinde durfte ich am 1. April «Gedanken zum Tag» aufschreiben.
Jeden Abend eine schwere Müdigkeit. Die Nerven sind dünner, die Tränen näher als sonst. So „normal“ die aktuelle Situation bereits geworden ist mit dem vielen zu Hause sein und der eingeschränkten Bewegungsfreiheit, so zehrt sie doch an mir. Der Schlaf kommt in diesen Tagen früher und schwärzer als sonst, und vor dem Aufwachen flechten sich wirre Träume in mein Unterbewusstsein.
Ich bin eine der am wenigsten Betroffenen: Weder gehöre ich zu einer Risikogruppe, noch fällt mir Einkommen weg, und ich habe auch keine Kinder, die ich nun zu Hause betreuen müsste. Und doch arbeitet es hinter den Kulissen meines Bewusstseins mehr als gewöhnlich. Vielleicht bin ich einfach nicht so belastbar. All die Dinge, die ich höre und lese, wollen eingeordnet, all die von anderen erzählten Sorgen verarbeitet werden.
«In solchen Zeiten würde ich gerne an Gott glauben können», gestand mir eine Freundin vor ein paar Wochen. Wir sassen auf der Dachterrasse, die Füsse auf dem Geländer, und schauten rüber in die Glarner Alpen. „Warum?“, fragte ich sie. “Dann könnte ich im Gebet alles ablegen, was mich belastet.“ Vögel zwitscherten, und unten auf der Strasse rauschte der Feierabendverkehr. Ich seufzte. “Ich wünschte, es wäre so einfach.”
Dieses „Sorgen ablegen im Gebet“ funktioniert in der Theorie weit besser als in der Praxis. Jedenfalls ist das bei mir so. Das Gedankenkarussell lässt sich nicht einfach anhalten. Probleme, Liebeskummer und offene Rechnungen lösen sich nicht einfach in Luft auf.
Trotzdem kommt bei mir in schwierigen Situationen immer wieder der Impuls zum Gebet. „Kommt zu mir, all ihr Geplagten und Beladenen“, sagt Jesus einmal, „ich will euch die Last abnehmen. Lernt von mir, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.“ (Matthäus 11,28-29) Welches Geheimnis genau es zu lernen gibt, sagt er an dieser Stelle nicht, und ich ärgere mich über die Bibelschreiber, die die Aussagen von Jesus nur so kompakt wiedergeben. Trotzdem berühren mich die Sätze. Der Wunsch nach „Ruhe für die Seele“ ist gross, das Versprechen von Jesus verlockend.
Beim Beten fällt mir nicht einfach eine Last ab, und ich schöpfe nicht sofort und auf wundersame Weise Energie. Doch irgendwie tut es trotzdem gut. Es hilft mir, zu glauben, dass ich von Gott getragen bin. Dass es ok ist, wenn ich mal vor Müdigkeit weine, schneller die Geduld verliere und keine Kraft mehr für andere habe. Dass es einen nächsten Tag geben wird – und irgendwann auch ein „danach“. Und dass Gott mir an allen Tagen, bis zum Schluss, Ansprechperson sein wird.
Dieser Text erschien zuerst auf der Website der reformierten Kirche Rüti ZH.