Gedanken über Tod und Auferstehung

Am 4. Mai ist Rachel Held Evans gestorben. Die junge Theologin (1981-2019) hat auch mich geprägt. Gedanken über ihren Tod und den Tod allgemein, mit einem Exkurs zu den Totenwelt-Vorstellungen des Alten Testaments.

Mit ihrem Blog und ihren Büchern hat Rachel Held Evans mir und unzähligen anderen Menschen gezeigt, was Glauben im 21. Jahrhundert heissen kann.

Sie hat «Exevangelicals», zu denen sie selber gehörte, eine Alternative aufgezeigt, und zwar theologisch und argumentativ genauso gründlich wie die Dogmen, mit denen wir aufgewachsen waren.

RHE schrieb mit beiden Füssen in der Realität und doch mit einer festen Hoffnung auf Gottes Wirklichkeit. Ein Auszug aus dem Vorwort ihres Buches «Searching for Sunday» zeigt, was ich damit meine:

Ein «Nachruf» aus Tausenden von Stimmen ist unter dem Hashtag #BecauseofRHE auf Twitter zu finden.

Was ist «Tod»?

Ich bin dem Tod noch nicht so häufig begegnet (und bin dafür sehr dankbar). Als ich auf Twitter las, dass für RHE nach über zwei Wochen im künstlichen Koma die Münze nicht auf die Seite des Lebens, sondern des Todes gefallen war, erschrak ich.

Dieses unverwechselbare Gefühl in dem Moment, wo man erfährt, dass jemand verstorben ist.

Es ist immer irgendwie surreal. Dass jemand in einem Moment noch lebte, da war (sogar, wenn im Koma), und im nächsten Moment tot, weg. Das ist so schwer zu begreifen.

Ich fragte mich, was dieses Erschrecken ausmacht.

Es ist eine Stimme, die verstummt, dachte ich erst. Eine Person, die mit ihrem Reden ein Bestandteil der Wirklichkeit war, verstummt.

Aber das stimmt nicht:

Mit ihren Büchern, ihren Interviews, all den Videos ihrer Predigten und Reden auf YouTube, mit ihrem Blog und ihrem Twitter-Account klingt RHEs Stimme weiter.

Und nicht nur dort: Auch durch die Stimmen all derjenigen, die von ihr geprägt wurden.

Wenn jemand stirbt, wäre es also falsch zu sagen, dass die Stimme verstummt.

Der Unterschied zu vorher ist aber:

Sie sagt nichts Neues mehr.

Einmal mehr merke ich, wie meine Auseinandersetzung mit der Prozesstheologie mein Denken momentan prägt.

In der Prozesstheologie wird Gott vor allem als Schöpfer alles Neuen definiert. So ist Gott in der Welt präsent: Gott schafft Neues.

Wenn also nichts Neues mehr entsteht, ist Gott dann abwesend?

In einem Seminar über «Leben und Tod im Alten Testament» habe ich mich letztes Semester genau damit beschäftigt: Mit der Frage, ob JHWH nach der Vorstellung des AT auch im «Totenreich» präsent ist oder nicht.

Im Folgenden ein kurzer Überblick.

Literatur: Berlejung, Janowski (Hg.): Tod und Jenseits im alten Israel und in seiner Umwelt, Tübingen 2009.

JHWH und der Tod im Alten Testament

In der Literaturgeschichte der Hebräischen Bibel gibt es in dieser Hinsicht eine Entwicklung.

Grob gesagt:

Während in frühen Texten der Bereich des Todes vom Bereich JHWHs klar abgetrennt ist, ist in den späten Texten (Zeit der Apokalyptik) das Totenreich in den Machtbereich JHWHs integriert.

Dies drückt sich u.a. in der Auferstehungshoffnung aus.

1. Vorexilische Texte: Rettung vor dem «Tod im Leben»

Anfänglich (ca. 8. bis 6. Jh. v. Chr.) errettet JHWH vor allem aus dem „Tod im Leben“: Dieses Konzept bezeichnet die Einschränkung des Lebens als Ganzes durch Krankheit, soziale Isolation o.ä..

Diese Situation wird z.B. in den Psalmen häufig mit dem Tod verglichen (vgl. z.B. Ps 18,5-6). Aus diesem «Tod im Leben» rettet JHWH:

«HERR, strafe mich nicht in deinem Zorn und züchtige mich nicht in deinem Grimm.
Sei mir gnädig, HERR, denn ich verschmachte, heile mich, HERR, denn meine Gebeine sind erschrocken.
Tief erschrocken ist meine Seele. Du aber, HERR, wie lange?
Kehre wieder, HERR, errette mein Leben, hilf mir um deiner Gnade willen.
Denn im Tod gedenkt man deiner nicht, wer wird im Totenreich dich preisen?
Ich bin erschöpft von meinem Seufzen, ich tränke jede Nacht mein Bett, mit meinen Tränen überschwemme ich mein Lager.»

(Ps 6,2-6, Zürcher Bibel)

JHWH ist in der vorexilischen Zeit der Gott des Lebens. Dies zeigt sich auch darin, dass er (anhand von archäologischen Fundstücken und Texten) nicht Teil der Bestattungs- und Trauerriten des jüdischen Volkes ist. Der Tod bedeutet den kompletten Verlust des Lebens und ist damit v.a. Grund zur Trauer um den Verstorbenen.

Totenbeschwörung war verbreitet, das zeigen die Verbote derselben im AT.

JHWH ist im Totenreich nicht präsent, sein segnender Einfluss reicht aber bis dorthin

Wer starb, kam in die «Scheol», die Schattenwelt, das Reich des Todes. Ein dunkler Ort, weit unter der Erde, wo die Toten vor sich hin vegetieren.

JHWH war in dieser Totenwelt abwesend. Gibt es dort einfach eine Leerstelle? Oder sind andere Gottheiten präsent?

Aus der Hebräischen Bibel erschliesst sich nicht, was die Menschen damals glaubten. Am naheliegendsten ist, dass im Totenreich nur die Toten waren und kein göttliches «Personal».

Es gibt jedoch frühe Ansätze zu einer Ausweitung von JHWHs Machtbereich. Das Totenreich ist JHWH nicht verschlossen, auch wenn er dort normalerweise nicht präsent ist.

Sein segnender Einfluss reicht bis dorthin. Zumindest hofft man dies, wie Segenswünsche zeigen, die man u.a. in Khirbet el-Qom als Grabinschrift und in Ketef Hinnom auf Amuletten als Grabbeigaben fand.

(Die Segenstexte von Ketef Hinnom aus dem 7. Jh. v. Chr. sind die ältesten erhaltenen bibelnahen Texte. Auf den beiden Silberröllchen steht ein Teil des Aaronitischen Priestersegens aus Num 6, 24-26.)

Von Tamar Hayardeni, Wikimedia

2. Umschwung exilische/nachexilische Zeit

Ab dem 6. Jh. v. Chr. veränderte sich die jüdische religiöse Praxis. Da der Tempel zerstört worden war, war es nötig, dass der JHWH-Glaube im privaten Leben verankert wurde.

Parallel dazu erfolgte in dieser Zeit der Wandel von der Monolatrie (Anbetung eines einzigen Gottes, es gibt aber mehrere) zum Monotheismus (Glaube an die Existenz eines einzigen Gottes). Andere Götter erlaubten die Totenbeschwörung, und so musste JHWHs «Kompetenzbereich» auch dorthin ausgeweitet werden, um diese unerwünschten Kultformen zu verdrängen bzw. zu inkorporieren.

JHWH rettet aus dem Totenreich

In den Klagepsalmen und Danklieder der exilisch-nachexilischen Zeit wird deutlich, dass JHWH nicht nur in den Tod sieht und Menschen im Totenreich segnen kann, sondern auch daraus erretten kann.

«Der Mensch in seiner Pracht ist ohne Bestand, er gleicht dem Vieh, das verstummt.
Das ist der Weg derer, die sich selbst vertrauen, und die Zukunft derer, denen das eigene Reden gefällt. Sela [unübersetzbar]
Wie Schafe ziehen sie ins Totenreich, der Tod weidet sie, und die Aufrichtigen herrschen über sie am Morgen. Ihre Gestalt zerfällt, das Totenreich ist ihre Bleibe.
Gott aber wird mein Leben loskaufen, aus der Gewalt des Totenreichs nimmt er mich auf. Sela»

(Ps 49,13-16)

Nich überall ist klar, ob damit die Scheol (das Reich der Toten) gemeint ist, oder das Konzept des «Todes im Leben» als «Lebensminderung», aus der JHWH den Klagenden rettet.

3. Späte Texte des AT: Auferstehungshoffnung…

In der Zeit der Apokalyptik, also vom 3. Jh. v. bis 1. Jh. n. Chr., entstand die Vorstellung eines «ewigen Lebens». Erst vor diesem Hintergrund war das Christentum überhaupt denkbar.

In den Texten des AT aus dieser Zeit zeigt sich: Der Bereich des Todes ist in Gottes Machtbereich fest integriert. Der Tod ist JHWH aber nach wie vor diametral entgegengesetzt – JHWH wird nicht zu einem Totengott, sondern bleibt Gott der Lebenden.

Es gibt die Vorstellung, dass die Gottesbeziehung über den Tod hinausgeht. Dies kann bis zum Glauben an eine leibliche Totenauferstehung gehen.

«Ich aber weiss: Mein Anwalt lebt, und zuletzt wird er sich über dem Staub erheben.
Und nachdem meine Haut so zerschunden wurde, werde ich Gott schauen ohne mein Fleisch.
Ich werde ihn schauen, und meine Augen werden ihn sehen und niemand sonst.»

(Hiob 19,25-27a)

…oder Fokus aufs Diesseits

Jedoch teilen nicht alle diese Vorstellung: Der Prediger (Kohelet) schreibt gegen einen Eskapismus an, der das diesseitige Leben zugunsten eines jenseitigen abwertete.

«Das Geschick der Menschen gleicht dem Geschick der Tiere, es trifft sie dasselbe Geschick. Jene müssen sterben wie diese, beide haben denselben Lebensgeist, und nichts hat der Mensch dem Tier voraus, denn nichtig und flüchtig sind sie alle.
Alle gehen an ein und denselben Ort, aus dem Staub sind alle entstanden, und alle kehren zurück zum Staub.
Wer weiss denn, ob der Lebensgeist des Menschen nach oben steigt und der Lebensgeist der Tiere hinab in die Erde?
So sah ich, dass es nichts Besseres gibt, als dass der Mensch sich freut bei seinem Tun, denn das ist sein Teil. Wer würde ihn denn dazu bringen zu sehen, was künftig sein wird?» (
Koh 3,19-22)

Im Herder-Kommentar zu Kohelet heisst es:

„Kohelet polemisiert gegen eine Theologie, die den Tod nicht ernst nimmt, weil sie die irdische Existenz des Menschen heimlich ins Jenseits verlängert und auf diese Weise die Welt entwertet. (…) Vor diesem Hintergrund ist der Ruf Kohelets in das Hier und Jetzt des Lebens letztlich ein Ruf zur Umkehr, ein Ruf des Glaubens. (…) Ins ‚Jenseits’ gelangt der Mensch nicht dadurch, dass er dem ‚Diesseits’ entflieht, sondern dadurch, dass er das Diesseits in seiner Wahrheit erkennt und annimmt: als Werk, als Gabe, letztlich als Antwort Gottes.“

Und im Christentum?

An beide Fäden der frühjüdischen Texte knüpft das Christentum an.

  • Die Auferstehungshoffnung ist zentral, Gott ist stärker als der Tod.
  • Gleichzeitig findet das Reich Gottes bereits im Heute statt und der Mensch ist eingeladen, daran teilzunehmen.

Auch Rachel Held Evans hat beides betont. Wie ich es auch bei anderen «Exevangelical»-Autor*innen wahrnehme, lehnte sie ein Christentum ab, in dem es nur darum geht, nach dem Tod in den Himmel zu kommen. In dem ausschliesslich wichtig ist, auf dem Seelenheil-Formular ein Häkchen zu haben hinter dem «hat Jesus als Retter und Erlöser angenommen»-Feld.

Ich weiss, wie gut es Christ*innen meinen, die andere Menschen vor allem aus dem Grund zum Glauben an Gott zu führen, um ihnen die Hölle zu ersparen. Dahinter steckt die reale Angst um das ewige Schicksal anderer Menschen.

In den Texten über Jesus, z.B. in den jesuanischen Endzeitreden in Matthäus 24-25, ist ja tatsächlich ein endzeitliches Gericht und eine ewige Strafe für die einen Menschen beschrieben.

Dazu empfehle ich übrigens diesen Podcast:

Auferstehung mitten im Leben

Aber es geht nicht nur ums Jenseits und um eine eschatologische Auferstehung.

Matthäus 25 gipfelt im Aufruf, sich um die Menschen zu kümmern, die es in dieser Welt bitter nötig haben, die einsam sind, Hunger leiden, krank oder arm sind.

Fast alle Menschen kennen den «Tod im Leben», wie der Beter in den Klage- und Dankpsalmen, die ich vorhin zitiert habe. Und nicht nur vielleicht rettet uns Gott aus diesem «Tod im Leben» vor allem durch die Hilfe von anderen.

So geschieht auch Auferstehung.

«We’re resurrection people»

Dies schliesst mitnichten aus, an eine Auferstehung nach dem körperlichen Tod zu glauben – oder zumindest irgendwie darauf zu hoffen.

Die Vorstellung, dass Gottes Segen und Macht vor den Grenzen des «Totenreichs» nicht Halt macht, finde ich schön.

Und ich vertraue darauf, dass das Aufgehobensein in Gott auch nach dem Tod weiter besteht bzw. sogar vollständig erfüllt wird.

«We’re resurrection people», schrieb Rachel Held Evans.

resurrection rachel held evans

Titelbild by Marcus Dall Col, Unsplash

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